Auf dem Weg zu einem neuen Datenschutzrecht

AutoreSpiros Simitis
Pagine97-116

    Die folgenden Überlegungen geben einen Vortrag wieder, den der Verfasser Im Rahmen des im September 1984 Von der Hessischen Landesregierung veranstalteten Symposiums »Informationsgesellschaft oder Überwachungssttat« gehalten hat.


Page 97

  1. Der Datenschutz hat seit der ersten gesetzlichen Regelung, dem Hessischen Datenschutzgesetz von 1970, einen langen Weg zurückgelegt. Einfach war er nicht. Zweifel, Kritik, ja unverhohlenes Mißtrauen haben fast jeden Schritt begleitet. -Das Ende leistungsfähiger Verwaltung und der Stillstand der Technik wurden ebenso vorausgesagt wie ein ungeahnter Aufschwung der Kriminalität und der Rückfall In eine alle Solidarität verleugnende, rücksichtslos atomlstlsche Gesellschaft prognostiziert. Aber auch dort, wo derart massive vorwürfe unterblieben, fiel die Disqualifikation nicht minder deutlich aus: der Datenschutz wurde zum mahnenden Beispiel einer orientierungslosen, von Modeerscheinung zu Modeerscheinung torkelnden Rechts-politik stilisiert,

    Bund und Linder sind dennoch dem Beispiel Hessens gefolgt und etwas über vierzehn Jahre später. Im Dezember 1983, stellte das Bundesverfas-sungsggerlcht In seiner Entscheidung zum Volkszählungsgesetz fest, daß Existenz- und Funktionsfähigkeit einer demokratischen Gesellschaft auch und gerade von einem wirksamen Datenschutz abhängen. Grundrechte zerfallen eben unwiderruflich dann, wenn der Bürger weder weiß noch wissen kann, wer was bei welcher Gelegenheit an Information über Ihn zusammenträgt. Anpassung und Manipulation sind die Alternative zu einer ebenso offenen wie kontrollierten Verarbeitung personenbezogener Daten.

    Zudem: Der Datenschutz war und Ist, allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz, kein Monument nationaler Skurrilität. Von den noch In den siebziger Jahren verabschiedeten Gesetzen In Schweden und Frankreich über die jüngst In Portugal und In der Schweiz vorgelegten Entwürfe bis hin zu der Europarats-Konventlon und den OECD-Richtlinlen, überall wiederholt und bestätigt sich der Eindruck; Was 1970 noch als slngulärer Vorgang ausgegeben werden konnte, rechnet 1984 zur Normalität legislativer Aktivität.

    Page 98

  2. So paradox es freilich klingt: Just in dem Augenblick in dem die Anerkennung ihren Höhepunkt erreicht, steuert der Datenschutz auf seine tiefste Krise zu. Drei Gründe sind dafür maßgeblich:

    2.1, Die poröse rechtliche Infrastruktur

    Das Ziel der 1977 zunächst vom Bundesgesetzgeber formulierten und später von den Ländern weitgehend übernommenen Regelung war klar: Eine Verarbeitung personenbezogener Daten sollte nur noch unter bestimmten, gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Bedingungen zulässig sein. Die Verpflichtung jede Verarbeitung mit präzise definierten Aufgaben zu verknüpfen und damit das Verbot einer Speicherung auf Vorrat, die Reduktion der verarbeitbaren Daten auf die jeweils wirklich erforderlichen sowie die strikte Weigerung, irgendwelche Angaben als harmlos anzusehen und für regelungsfrei zu erklären, sind Marksteine eines Gesetzes, das in der Steuerung des Verarbeitungsprozesses die Grundvoraussetzung einer wirksamen Prävention der Verarbeitungsgefahren sieht.

    Der Gesetzgeber hat sich allerdings für ein Regelungsmodell entschieden, das Regelungsmtßstäbe für alle Verarbeitungssituationen anzubieten sucht. Die Folge ist, rechtstechnisch gesehen, ein zwangsläufig fast exzessiver Gebrauch von Generalklauseln, rechtspolitisch aber betrachtet, die fortschreitende Umkehrung der Intentionen des Gesetzgebers in ihr Gegenteil. Vordergründig sind Generalklauseln das denkbar beste Mittel, um die Flexibilität des Gesetzes zu maximieren, »Berechtigte Interessen« hat eben jede speichernde Stelle unde die Verpflichtung, sich mit den konkret »erforderlichen« Angaben zu begnügen, läßt sich ebenso an die Adresse aller, die personenbezogene Daten verarbeiten, postulieren wie die Forderung, sich der Verarbeitung nur zur Erfüllung »rechtmäßiger Aufgaben« zu bedienen. In Wirklichkeit festigt jedoch jede dieser Formulierungen die Interpretationsherrschaft der speichernden Stelle. Ihr und nicht etwa dem Betroffenen bleibt es zunächst einmal überlassen, die Bandbreite der »berechtigten« Interessen festzulegen und es ist genauso ihre Sache, die »erforderlichen« Angaben auszuwählen. Kurzum, das Gesetz zimmert mit seinen überaus allgemein gehaltenen Vorschriften einen Verarbeitungsrahmen, der es den speichernden Stellen weitgehend gestattet, ihre bisherigen Verarbeitengsproze-duren auch unter den geänderten gesetzlichen Bedingungen beizubehalten.

    So verwundert es nicht, wenn dem Datenschutz allenfalls Barrieren gegen eine Erweiterung der Verarbeitung entnommen werden, nicht aber die Notwendigkeit, den bisherigen Verarbeitengsverlauf und damit auch alle bislang gespeicherten sowie übermittelten- Daten konsequent zu überprüfen. Weder bei der öffentlichen Verwaltung noch im privaten Bereich läßt sich eine substantielle Bereinigung der Dttenbestlnde, verbunden mit einer konsequenten Reduktion, konstatieren. Die Auseinandersetzung um die von den Mel-Page 99debehörden gespeicherten Angaben Ist dafür ebenso bezeichnend wie die hartnäckige Weigerung der Versicherungen Ihre Erhebungs- und Übermittlungspraxis zu revidieren.

    Ebensowenig überrascht die von den Skherheltsbehörden dezidiert vertretene Position, Vorschriften wie die §§ 9 ff. Bundesdttenschutzgesetz (BDSG) sowie die entsprechenden Bestimmungen der Landesdatenschutzgesetze rechtfertigten ohne weiteres die Einrichtung Immer neuer, zudem überaus sensitiver Dateien. Auf der gleichen Linie liegt die Feststellung mancher Bank, § 23 BDSG gestatte es Ihr selbstverständlich, auf die bei Ihr gespeicherten Angaben jederzeit zurückzugreifen, um etwa mit Hilfe einer besonderen Datei von Klndergeldempfängern gezielte geschäftspolitische Maßnahmen zu treffen.

    Nicht minder bezeichnend Ist schließlich die Reaktion auf die Entscheidung des Bundesverfassufigsgerlchts zum volkszlhlungsgesetz. Statt sie als Aufforderung zu verstehen, nun doch für eine ebenso konsequente wie umfassende Verwirklichung des Datenschutzes zu sorgen, wird einer »defensiven« Interpretation offen das Wort geredet. Anders ausgedrückt: Alle Anstrengungen richten sich darauf, möglichst viele der Überlegungen des Bundes-sverfassungsgerichts als beiläufige und deshalb folgenlose Bemerkungen ab-zutun. Zufrieden kann man dann feststellen, tu der geltenden Rechtslage ändere sich genaugenommen nichts, Wohl müsse die eine oder andere Korrektur vorgenommen werden, doch gehe es durchweg um Sonderfragen und nicht etwa um Irgendwelche allgemein bedeutsamen Konsequenxen. Eine Übergangsfrist, von der man nicht einmal weiß, wie lange sie anhalten soll, steht dann ebenso ernsthaft zur Debatte, wie es offensichtlich keine Schwierigkelten bereitet, die unmibverständliche Aufforderung, über neue, mehr Rücksicht auf den Bürger nehmende Erhebungsmethoden nachzudenken, schlicht zu übergehen und überhaupt einen besseren Datenschutz aEenfalls dort zu erwägen, wo es zu einer »zwangsweisen« Erhebung kommt.

    Letzlkh sind das freilich nur Symptome einer Entwicklung, die das Dllemma deutlich zeigt: Zwar sprechen sich der Gesetzgeber und das Bundesverfassungsgericht unmißverständlich für einen konsequenten Datenschutz aus, doch die Realität der Datenverarbeitung Ist durch eine mindestens genauso konsequent betriebene Domestizierung des Datenschutzes gekennzeichnet. Den Weg dazu ebnen die Datenschutzgesetze selbst mit Kegelungsmaßstlben, die -sich dank der überaus abstrakten Formulierung ohne sonderliche Anstrengung für eine »ausgewogene« Interpretation Instrumentalisieren lassen, eine Auslegung also, die sich an der »betrieblichen« und »behördlichen« Praxis orientiert und den Datenschutz In sie zu Integrieren sucht.

    Die Porosität hingt freilich mindestens ebenso mit einem zweiten Konstruktionsfehler zusammen. Gemeint Ist die von Anfang an, nicht zuletzt unter Hinweis auf § 45 BDSG und die entsprechenden vorschrlften der Landesre-gelengen propagierte Ansicht, Datenschutzgesetze seien genaugenommen nicht mehr als »Auffanggesetze«. Ihre Aufgabe erschöpfe sich also darin,Page 100 noch vöthafidene Lücken auswufüllen. Politisch ein sicherlich geschickt gewählter Standpunkt, Angesichts der beträchtlichen Widerstände gegen das BDSG mußte die Feststellung, der Gesetzgeber habe nun einmal nichts Außergewöhnliches vor, sondern wolle nur die ohnehin bestehenden Regeln ergänzen, besänftigend wirken. Die Innovationsfunktion der geplanten Regelung wurde damit heruntergespielt, die Kontinuität dafür um so nachdrücklicher betont. Rechtlich wiegen die Folgen allerdings schwer. Sind die Datenschutzgesetze einmal als Auffanggesetze qualifiziert, dann fält es relativ leicht, die Gewichte zu verschieben. Die Datenschutz vor Schriften erscheinen nur noch als zweitrangiger Anknüpfungspunkt für die Bewertung der Verarbeitung. Den eigentlich entscheidenden Maßstab geben statt dessen die bereits vorhandenen Regelungsgrandsätze ab. Kein Wunder, wenn sie plötzlich aufgewertet und, so nur möglich, als die einzig verbindliche Rechtsgrundlage präsentiert werden.

    Die Beispielskette ist lang. Sie reicht von den diversen Schattierungen der Amtshilfe bis zu der Rückbesinnung auf eine Vielzahl von »Geheimnissen«. Das Ergebnis ist überall gleich. Die DatenschutzvöfSchriften werden verdrängt, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob es um die gesetzlichen Anforderungen an den verarbeitungsprozeß oder um die gesetzlich ebenso festgelegten Kontrollverfahren geht. So dient das Steuergeheimnis mittlerweile daze, die Überwachung der Finanzämter durch die Datenschutzbeauftragten abzuwehren, rechtfertigt beim Bildschirmtext das Fernmeldegeheimnis in verbindung mit dem Postverwaltungsgesetz Verarbeitungsverfahre, die, vorsichtig ausgedrückt, den Datenschutz an den Rand drängen und wird die Amtshilfe immer wieder, beispielsweise im Rahmen der Tätigkeit der Sicherheitsbehörden, dazu benutzt, um die Übermittlungsschranken des BDSG zu überwinden.

    Allzu schnell wird jedoch eines bei dieser...

Per continuare a leggere

RICHIEDI UNA PROVA

VLEX uses login cookies to provide you with a better browsing experience. If you click on 'Accept' or continue browsing this site we consider that you accept our cookie policy. ACCEPT