Sozialer Dialog in Europa

AutoreThomas Blanke
Pagine65-68
Sozialer Dialog in Europa
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In Art. 152 Abs.1 AEUV i.d.F. des Vertrages von Lissabon heißt es: „Die Uni-
on... fördert den sozialen Dialog:“„Sozialer Dialog“ ist an sich ein Euphemis-
mus. Von Dialog kann dann keine Rede sein, wenn die Bedingungen ungleich
verteilt sind, unter denen die Parteien des Dialogs Einuss auf seine Ergebnisse
haben. Genau dies ist aber beim „Sozialen Dialog“ der Fall, weil die Arbeitge-
berseite, solange kein Ergebnis – in Gestalt einer Übereinkunft mit der Gegen-
seite – erzielt wird, am status quo festhalten kann, ohne Nachteile zu befürchten.
Erste Aufgabe eines ernsthaften „Sozialen Dialogs“ ist es folglich, den Druck
auf die Arbeitgeberseite zu erhöhen, um ihr das Festhalten am status quo als wenig
aussichtsreich, da mit Nachteilen verbunden, erscheinen zu lassen. Dieses Prinzip
hat B. Bercusson (1992, 185) „bargaining in the shadow of the law“ genannt. Es
meint eine eigentümliche Gleichzeitigkeit von gesetzlichen Vorgaben und einer
Verhandlung, die insoweit „unfrei“ ist, als für den Fall ihres Scheiterns eine ge-
setzliche „Auffanglösung“ anstelle der angestrebten „Verhandlungslösung“ ein-
greift. Die Kombination von Verhandlungsprinzip und „Vorher-Nachher-Prinzip“
einer gesetzlich verordneten Mitbestimmungsbeibehaltung kommt besonders
treffend in der SE-RL 2001/86/EG zum Ausdruck (Blanke 2006, 157, 196).
Zweitens gilt es zu denieren, was unter „Sozialem Dialog“ zu verstehen
ist. Tarifverträge gibt es in allen Mitgliedstaaten der EU. Um die Bedingungen
zu bestimmen, unter denen eine Arbeitnehmervereinigung als “Gewerkschaft“
anzuerkennen ist, ist es nötig, die Voraussetzungen festzulegen, unter denen sie
als „repräsentativ“ anzusehen ist. Dies ist keine leichte Aufgabe und variiert von
Land zu Land (A. Jacobs, 2009, 212).
Ob dies allerdings ausreicht, um das Spektrum des „Sozialen Dialogs“ zu
beschreiben, ist streitig; denn in der EU nden sich in nicht wenigen Mitglieds-
staaten Regelungen, die darüber hinausgehen. In ihnen wird auch die Sphäre
betrieblicher Herrschaft konstitutionalisiert und in die Form einer – mehr oder
minder – demokratischen Verfassung gebracht. Besonders ausgeprägt ist dieses
Modell in Deutschland, Österreich und den Niederlanden – man spricht hier von
einer „dualen Struktur“ des „Sozialen Dialogs“. Erstreckt sich die Konstitutio-
nalisierung der betrieblichen Sphäre – wie im System der deutschen Mitbestim-
mung – auch auf die Entscheidung über wirtschaftliche Fragen, so besitzt der
Soziale Dialog eine dreifache Struktur.
Zu all diesen Dimensionen, in die das System des „Sozialen Dialogs“ auf-
gefächert ist, gibt es interessante Theorieansätze. Sie reichen von A. O. Hirsch-

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